SOUPLESSE OBLIGE

Wolfgang Renner - Das Geheimnis meines Erfolgs // ©Centurion/Merida

Das Geheimnis meines Erfolgs

Centurion-Gründer Wolfgang Renner ist ein Urgestein der deutschen Fahrradindustrie, er hat Pionierleistungen erbracht und ist nach wie vor ein höchst sportlich bikender Weltenbummler. Wir sprachen mit ihm über das Geheimnis seines Erfolgs.

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Den allumfassenden Leitspruch, der als Motto hinter seinem Werdegang – oder besser: seinen Werdegängen – stehen könnte, schreibt Wolfgang Renner zum Abschied in das Fotobuch, das er mir schenkt. Es ist ein bekannter Spruch des leidenschaftlichen Radfahrers Albert Einstein: „Das Leben ist wie ein Fahrrad! Man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.“ Das Fotobuch hat Wolfgang Renner aus Anlass seines 60. Geburtstags gefertigt, und er lässt darin mit viel Humor die wichtigsten Stationen seiner reichhaltigen Vita Revue passieren. Das Buch dokumentiert eindringlich, dass Renner den Einstein’schen Vorwärtsdrang in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen – und dabei oft auch zeitlich parallel – verspürte. Und dass er als leidenschaftlicher Radsportler in allem stets sehr „zielstrebig“ zur Sache ging. Dabei waren auch – wie im Sport – teils herbe Niederlagen zu verkraften. Die aber sind sinnhaltiger Bestandteil des Renner´schen Universums: „Rückschläge gehören dazu; wer immer nur Erfolg hat, verliert die Bodenhaftung“, erklärt er, „aber das Ziel muss sein, nie ganz unten zu stehen, sondern immer das Podest im Blick zu haben.“

So die Lebensphilosophie eines Unternehmers – aus der Perspektive eines Sportlers.

 

Respekt ist die Basis

 

Die Bodenhaftung verlieren: das ist auch ihm schon passiert. Etwa kurz vor seinem runden Geburtstag, und da in einem ganz wörtlichen Sinne: Bei einer rasanten Mountainbike-Abfahrt in Südtirol, die er unkonzentriert und hektisch in Angriff nahm, misslang ihm ein riskanter Sprung. Auf Forchenzapfen rutschte bei der Landung das brandneue, aber unzureichend abgestimmte Bike weg, er schlug hart auf der linken Gesichtshälfte auf: Jochbein und Orbida-Boden gebrochen, zwei Operationen, kein Geburtstagsfest.

 

Wolfgang Renner hatte gegen eines seiner wichtigsten Prinzipien verstoßen: „Ich hatte zu wenig Respekt gezeigt – dem Trail gegenüber und der neuen Technik.“ Respekt ist für ihn eine Lebenshaltung, aber auch Firmenphilosophie: „Hab Respekt vor deinem Mitbewerber“, lautet einer seiner Grundsätze. Es ist für ihn, den oft Erfolgsverwöhnten, eine Bremse gegen Überheblichkeit, die Hybris, die er so manchen Top-Managern und Politikern ankreidet. Als ein dynamischer, daher manchmal ungeduldiger Mensch, ist er bemüht, sich immer wieder vor Augen zu halten, wo der Boden der Tatsachen ist und wie hart er sein kann – etwa in Südtirol. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass menschlicher Erfolg seine zeitlichen Begrenzungen hat: „Das ist wie beim Höhenbergsteiger. Du kannst nicht ewig in der Höhenluft leben“, weiß der begeisterte Bergfahrer.

 

 

So gab es auch in seinem Leben ein gehöriges Maß an Auf und Ab. Renners recht komplexe Vita ist geprägt von teils starken Kontrasten, die auf den ersten Blick so gar nicht unter einen Helm passen wollen – aber der Kopf darunter weiß sie durchaus zu vereinen. Kindheit, Ausbildung, Sport schmieden den Charakter; Karriere, Visionen, Abenteuer formen eine Persönlichkeit.

 

Erster Sieg

Der mehrfache deutsche Crossmeister gewann sein erstes Rennen am 28.10.1947. Da kam er zwölf Minuten vor seinem Zwillingsbruder Jürgen auf die Welt. Die beiden waren ein – bisweilen gefürchtetes – Lausbuben-Duo, das sich manchmal zoffte, aber sonst auf seine Stärke im Doppelpack vertrauen konnte – mit Wolfgang als dem etwas älteren „Alphatier“ in einer frühen Führungsrolle, wobei in dieser Konstellation wohl stärker die Fähigkeit zum Teamwork gefördert wurde. Teamwork spielt in der heutigen Merida & Centurion Germany GmbH eine wichtige Rolle, wo der Chef seinen Mitarbeitern gerne Eigenverantwortung überträgt und sie in Entscheidungsprozesse einbindet.

 

Mit elf Jahren beginnt für die Zwillingsbrüder eine besondere Art von Teamwork: Magstadt ist eine Hochburg der Kunstradfahrer; der Vater, früher selbst in der Szene aktiv, führt Wolfgang und Jürgen an diesen Sport heran. Und die Renner-Buben werden 1964 Deutsche Jugendmeister im Zweier-Kunstradfahren. Im nächsten Jahr schaffen sie es gleich wieder. Noch heute sind sie wegen dieser und weiterer Erfolge Legende. Doch auch eine andere Radtradition entwickelte sich in Magstadt: das Crossrennen. Den heranwachsenden Wolfgang Renner interessierte das. So sehr, dass er im Alter von 18 Jahren heimlich nach Paderborn fuhr, dort sein erstes Crossrennen bestritt und auf Anhieb Zweiter wurde. Der Vater erfuhr es am nächsten Tag aus der Zeitung. Er missbilligte das.

 

 

Sohn Wolfgang musste eine Entscheidung treffen, und sie sollte ihn prägen. Da waren zum einen die elterlich sanktionierten Kunstrad-Erfolge, erkauft durch fünfmal pro Woche ausgiebiges Training in der Halle, „stets die gleiche Tristesse vor Augen“. Zum anderen ein aufblühender Radsport an der frischen Luft, der ihn begeisterte und für den er offenbar großes Talent hatte. Er entschied sich für Cross. Das aber bedeutete das Aus für die Vater-Sohn-Beziehung – auf immer. Der Vater kam nie zu einem Rennen, er gratulierte zu keinem Erfolg. Aber der Sohn blieb konsequent.

Wolfgang Renner - Das Geheimnis meines Erfolgs // ©Centurion/Merida

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Grundprinzip Konsequenz

Auch im Geschäftsleben ist Konsequenz ein Grundprinzip seines Handelns. „Ziele konsequent zu verfolgen, das ist klar ein Erfolgsgeheimnis“, sagt er. Auch wenn es unangenehme Seiten hat: „Da kannst du nicht immer der Nette sein. Mein Freund Eddy Merckx hat an Mitarbeitern festgehalten, die gingen um drei Uhr zum Radfahren, und er hat sich im Geschäft Sorgen gemacht. So geht es nicht.“ Wobei er aber betont: „Erfolg muss immer auch noch menschlich sein, man darf ihn nicht um jeden Preis suchen.“

 

Der junge Crosser suchte ihn vorerst bei Rennen. Denn er verließ das elterliche Zuhause und musste sich durchschlagen. Er finanzierte sein Leben durch Prämien, die er bei Rennen gewann. Über den zweiten Bildungsweg machte er Abitur, ein Attest über eine Achillessehnenentzündung und ein mit Durchsetzungsvermögen erkämpfter Studienplatz bewahrten ihn vor der Einberufung in die Bundeswehr. Konsequent zog er das Studium in der Regelstudienzeit durch.

 

 

Diese Phase lehrte ihn sein Leben zu organisieren: „Zeit ist ein wertvolles Gut. Wenn ich morgens aufstehe, brauche ich einen Plan, auf den ich hinarbeiten kann. Und wenn viel ansteht, muss ich Prioritäten setzen und meine Zeit einteilen. Ich habe damals viel auf Lücke gelernt, weil ich ja auch noch trainieren musste, Prüfungen ablegen ... Das ist alles nur eine Sache des Willens.“ Training allerdings brauchte er nicht übermäßig viel: „Mir sind die Rennfahrer-Gene in die Wiege gelegt. Das muss man einfach akzeptieren.“ Im Alter von nur zwanzig Jahren ist er Cross-DM-Zweiter, in den Folgejahren wird er dreimal hintereinander Deutscher Meister. 1972 rauben ihm in Prag zwei Platten die Chance, Weltmeister zu werden – er holt „nur“ Bronze. Noch heute, sagt er, können manche seiner Radkumpel das Doppelte und Dreifache trainieren und haben dann doch wieder keine Chance gegen ihn.

 

Disziplin, Ordnung, Effizienz

Wie relativ üppig ihn Mutter Natur auch mit guten Voraussetzungen gesegnet haben mochte: der Spagat zwischen Leistungssport und Lernen stellte hohe Anforderungen. Aus dem Sport brachte er dafür die Disziplin mit und wandte sie aufs Studium an: „Wer Disziplin hat, arbeitet geradlinig, lässt sich nicht immer ablenken. Ich habe so viel Disziplin gelernt, dass ich mir immer Stichworte aufschreibe – dann ist ein Grundgerüst da. Es ist wie die Beine des Menschen: Wenn die funktionieren, springst du den anderen davon.“ Durch solche Ordnung, weiß er, erhöht man die Effizienz, und das macht das Leben leichter. Durch Disziplin, Ordnung, Effizienz wird Wolfgang Renner zum Diplom-Ingenieur und – nach einem Zweitstudium – auch zum Diplom-Kaufmann, und als Crosser ist er auf Augenhöhe mit den Besten der Zunft. Doch dann zeigt er einen Mangel an Respekt ...

 

 

Der leistungsstarke Rennfahrer gönnt sich einen leistungsstarken Sportwagen. Bei einem schweren Unfall zieht er sich einen Beckenbeinbruch zu. Er versucht das Comeback, aber ihm gelingen nur noch zwei Siege. Sein linkes Bein ist beim Belasten wie lahm, die Schmerzen bremsen ihn ein ums andere Mal aus. 1975 stellt er das Rad in die Ecke: „Die Sportkarriere aufgeben war ein Trauma: Ausgerechnet nach dem Studium, wo Zeit gewesen wäre, auch auf die Straße zu gehen. Aber im Nachhinein muss ich sagen: Alles hat seinen Sinn im Leben. Heute würde mich das nicht erfüllen – sechs, sieben Stunden stupid auf der Straße zu trainieren. Der Weg war gut so.“ Sportlichen Herausforderungen auf dem Rad stellt er sich nach wie vor, aber sie rangieren unter Freizeitbeschäftigung.

Ausgestattet mit einem Schatz an Erfahrungen in Sachen Lebensbewältigung, erfolgte der Einstieg in die Geschäftswelt mit der Gründung von Centurion, damals noch als Nowack Radsport-Vertrieb. Der Name Centurion war anfangs nur als Rennradmarke präsent, die neben Edel-Komponenten aus Japan von Sakae, Sugino und Dia-Compe zu seinem Geschäftszweig gehörte. Die Marke Centurion hatte ein Nationalteamkollege eingeschleust, Renner betätigte sich sogleich als Großhändler dafür. „Es war alles neu für mich, es war ein Reifeprozess – ohne Mentor. Da musste ich einfach durch.“

 

Im gleichen Jahr traten Danny Duncan und Dieter Dreizack auf den Plan. Die beiden Namen verwendete er als Pseudonyme für die neue Radzeitschrift „Tour“, vor allem für seine Arbeiten über die aufblühende BMX-Szene. Renner schrieb nicht nur darüber, er importierte auch Zubehör, war Mitinitiator der ersten BMX-Bahnen in Deutschland, setzte sich als ehrenamtlicher BDR-Fachwart ein, war Sprecher bei Events – er tat alles, um dem jungen Radsport auf die Füße zu helfen. Und so bekam er durch BMX-Messebesuche in den USA auch früh Wind von etwas ganz Neuem: Mountainbikes. 1980 bot er in Pionierarbeit dem unvorbereiteten deutschen Markt das erste Exemplar dieser Gattung, ein Centurion, und 1982 verblüffte er mit einem 18-Gang-MTB für den sportlichen Einsatz. Zahlreiche Innovationen brachten renommierte Preise etwa beim »European Bike Contest« ein: den Urvater des Trekking-Bikes Accordo GT, das 1-4-3-Konzept eines zweirädrigen Verwandlungskünstlers, neue Triathlon-Räder, einen Monocoque-Alu-Rahmen, das antriebsneutrale „No-Pogo“-Fully, den „Eurofighter“ ...

 

Doch auch im Geschäftsleben gab es einen herben Rückschlag, den größten seiner Laufbahn: Mit dem neuartigen Carbon-Einspritzverfahren Thermoshape wollte man Ende der Neunziger die Erfolgswelle toppen. Aber es ging schief: „Drei Jahre hatten wir reingesteckt, und wir standen nicht nur wieder am Anfang, sondern noch dahinter. Und wir hatten keinen Plan B, wir hatten voll auf Risiko gesetzt.“ Die Lehre daraus: „Bei existenzbedrohenden Fragen ist es wichtig, sehr genau zu überlegen. Mach nie einen Fehler zweimal!“

 

Nur kurze Zeit später, im Jahr 2001, eröffnete der Beginn einer engeren Zusammenarbeit mit Merida, dem zweitgrößten taiwanischen Fahrrad-Hersteller, neue Perspektiven, durch die wieder „das Podest ins Blickfeld rücken konnte“. Mit Centurion im Konzert der besten fünf Radmarken mitzusingen, das ist die Vorgabe des Dirigenten.

Wolfgang Renner - Das Geheimnis meines Erfolgs // ©Centurion/Merida

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Fahrrad als Manifest der Freude

 

Das Jahr 1975 markiert nicht nur den Eintritt ins Geschäftsleben, es beginnt parallel die Zeit der radsportlichen Abenteuerreisen. Renner wird einer der Pioniere des Alpencross, er bereist Tibet, Alaska, Ecuador, jüngst auch China per Bike. Nicht zuletzt kommt er dadurch mit Gedankengut in Kontakt, das ihn und sein Handeln prägt. Die Aufforderung des Dalai Lama, einmal im Jahr an einen Ort zu gehen, den man noch nicht besucht hat, ist ihm Ansporn, Neues zu machen, nicht im Alten zu verharren: „Du entdeckst doch manchmal die schönsten Dinge abseits der großen Straße.“ Näher als die christliche Religion steht ihm der Buddhismus, denn der hat keine Dogmen: „Tue Gutes und dir widerfährt irgendwann Gutes. Da ist alles auf einen Nenner gebracht“, sagt Renner und führt das Fahrrad an als ein Produkt, mit dem man den Menschen Freude macht. Denn damit kann man Natur erleben, andere Wege entdecken, Pioniergeist entwickeln: „Es ist ein Erfolgsfaktor, wenn du etwas mit Freude machst und diese Freude ohne Erwartung mit vollem Herzen gibst.“ Dass man im Geschäftsleben nicht auf Gaben aus dem Universum warten kann, sondern eine Stufe konsequenter sein muss, ist Wolfgang Renner natürlich auch klar. Er baut auf menschliche Tüchtigkeit und Planung: „Der Mensch ist vom Intellekt her in der Lage, viele Dinge selber in die Hand zu nehmen und zu gestalten.“ Dazu ist es nötig, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren (Zen: Wenn ich gehe, gehe ich; wenn ich sitze, sitze ich ...) zu einem klaren Konsens oder Ergebnis zu kommen und dann den vorhandenen Leitfaden konsequent zu verfolgen. Denn Erfolg hat schließlich auch viel mit Verantwortung zu tun.

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Der runde Tritt

Es ist ein schwieriges Unterfangen, aber vielleicht lässt sich doch Wolfgang Renners wichtigstes Erfolgsgeheimnis aus diesen vielen Facetten herauskristallisieren. Vielleicht ist es seine Fähigkeit, mit Vergangenem abzuschließen, das Schöne in Erinnerung zu behalten und aus dem Unschönen – besonders aus Fehlern – handfeste Lehren zu ziehen, auf deren Basis man mit dem frischen Mut des Pioniers neue, andere Wege entdecken und einschlagen kann. Und dabei die Balance zwischen Geschäftsleben und Privatleben so zu halten, dass beides gut zu seinem Recht kommt. Das ist bei Wolfgang Renner eigentlich wie beim Fahrradfahren: Mal tritt er auf der einen, dann auf der anderen Seite ins Pedal. Wie sagt Einstein bei seinem Vergleich zwischen dem Leben und dem Fahrrad: „Man muss sich vorwärtsbewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.“

 

 

Wolfgang Renner versucht, dieses Gefährt mit einer gewissen Souplesse zu bewegen, einer Leichtigkeit des Seins, die Souveränität und Sympathie ausstrahlt, ohne überheblich zu wirken: „So wie Didi Thurau gefahren ist, leicht und locker pedalierend.“


MERIDA & CENTURION GERMANY GMBH

Als aufstrebender Sportler und später als Abenteuerbiker mit Pioniergeist und als Geschäftsmann hat Wolfgang Renner viele Regionen der Welt bereist. Aber als Unternehmer ist er im beschaulichen schwäbischen Magstadt geblieben und sorgt dort für rund 40 Arbeitsplätze. Zusätzlich hat er sich als Gemeinderat und als zweiter Bürgermeister in seinem Heimatort engagiert. Aus drei Gebäuden besteht die Merida & Centurion GmbH. Datierbar sind sie auf die Jahre 1976, 1987 und 1992 und sie platzen aus allen Nähten. Deshalb gibt es Überlegungen, an anderer Stelle einen Neubau in Angriff zu nehmen. 


Text: Karl Groß

Bilder: Centurion/Merida Archiv